Bitte lästern: Darum tut Tratschen dem Gemüt gut

Über andere zu reden, ist keineswegs hinterhältig. Psychologen raten tatsächlich dazu, weil Klatsch Stress reduziert, das Miteinander stärkt und – Achtung – sogar ein Zeichen für Empathie ist.

Text: Maren Pletziger

Zwei Frauen lästern© Pexels | cottonbro studio
Wir alle haben Freude am Tuscheln – aber warum ist das so?

Die giftigsten Schlangen im Dschungel sind die bei RTL. Wie jedes Jahr sitzen sie auch diesmal ab dem 19. Januar ums Lagerfeuer und ziehen über ihre Mit-Camper her. Und wir? Lästern begeistert mit: Zwei Wochen lang ist Tratsch-Thema Nummer eins in den Büroküchen, was die Z-Promis bei "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" so getrieben haben, wer in der Dschungelprüfung erbärmlich versagt und Maden geschluckt hat, wem man nicht das Schwarze unter den künstlichen Fingernägeln gönnt. Urwald-Gossip eben. Das macht Spaß, klar. Aber irgendwie ist es ja auch niederträchtig und gemein, über andere herzuziehen, oder?

Wir gucken uns das mal genauer an: Es gibt einen Grund, warum zwei Drittel unserer Gespräche streng genommen Klatsch sind (definiert als eine Unterhaltung zwischen mindestens zwei Personen, die über jemanden sprechen, der in diesem Moment abwesend ist). Wir alle tratschen, weil wir dabei beurteilen, wer vertrauenswürdig ist, wem wir nacheifern wollen, wer mögliche Verbündete oder Konkurrenten sind. 

Lästern ist gesund – laut Forschung

Evolutionär hat das Lästern eine wichtige Funktion. Manche Forscher sprechen von "sozialem Kitt", denn wer gemeinsam tratscht, schenkt sich Vertrauen, fühlt sich akzeptiert und bildet ein Netzwerk. Auf diese Weise verstärken Klatsch und Tratsch unsere Freundschaften und Allianzen. Außenstehende kriegen zwar ihr Fett weg. Doch in der eigenen Gruppe wirkt das Getuschel wie Klebstoff.

Das bestätigt Sascha Neumann vom Institut für angewandte Positive Psychologie auf GRAZIA- Nachfrage: "Wenn ich mit einer Person lästere, dann bilden wir eine Peer Group, über die wir uns definieren können. Der Mensch braucht das, weil wir Herdentiere sind." Männer tratschen übrigens fast genauso viel wie Frauen – und Kinder haben das schon im Alter von fünf Jahren drauf. Die Lust am Lästern steckt in uns allen. 

Der Experte betont: "Alle Aktionen, die ein Mensch tut, haben eine für ihn positive Absicht. Das Tratschen dient auch dem Zweck, sich selbst aufzuwerten. Denn wer lästert, hat Informationen über eine andere Person, man hat die Kontrolle und die Macht über die Situation." Das klingt erst mal schäbig, aber der Experte betont: "Soziale Aufwertung ist wichtig!" Es bewirkt, sich wohler in der eigenen Haut zu fühlen.

Eine niederländische Studie zeigte gerade, dass wir vom Missverhalten anderer lernen, und zwar umso stärker, je schockierender oder ärgerlicher der Inhalt des Geschwätzes ist. Im besten Fall setzen wir dann alles daran, diesen Fehler nicht zu wiederholen. Klingt logisch!

Experte verrät: Darum sollten wir häufiger im Büro tratschen

Neumann, der viele Unternehmen coacht, sagt, dass sich die Pandemie mit ihren Home-Office- Regelungen für viele von uns zum Nachteil auswirkt. "Viele wichtige Entscheidungen werden im Flurfunk geklärt, viele wichtige Informationen in der Teeküche ausgetauscht. Das ist so ein wichtiger Teil des Berufslebens!" Videokonferenzen können zwar Arbeitsmeetings vor Ort ersetzen – nicht aber den Plausch im Türrahmen. Der Experte ist der Meinung: "Hinterm-Rücken-Reden müsste eigentlich gefördert werden – und deswegen appelliere ich: Bitte kehren Sie zwei, drei Tage ins Büro zurück, damit wieder geredet werden kann!"

Die Grenzen zwischen Tratschen und Mobbingen verschwimmen oft

Laut einer Studie der University of California gehen etwa 14 Prozent der täglichen Gesprächszeit fürs Tratschen drauf. Bei einem 16-Stunden-Tag entspricht das 52 Minuten, in denen gelästert wird. Das dient letztlich natürlich auch dem Stressabbau, denn wer über Nervkram redet, schafft die negativen Gefühle raus aus seinem System. 

Im Übrigen bezeugt die Lästerei grundsätzlich auch Empathie, denn wer sich nicht für andere Menschen interessiert, macht bei solchen Unterhaltungen gar nicht erst mit. Allerdings gibt es eine Grenze, so Neumann. "Wo Tratschen aufhört und Mobbing anfängt, ist individuell und definiert derjenige, über den geredet wird." 

Wenn man befürchtet, übers Ziel hinausgeschossen zu sein, sollte man eine einfache Übung machen, die der Experte "In den Schuhen des anderen Menschen gehen" nennt. Man sollte sich fragen: "Wie fühlt es sich an, wenn das über mich gesagt worden wäre?" Wenn der Gedanke wehtut, muss man etwas ändern.

Gossip als Selbstschutz

Ein interessantes Detail gibt Neumann noch zu bedenken: "Je mehr Klatsch und Tratsch ich verbreite, desto weniger will ich mich mit meinen eigenen Problemen und Thematiken beschäftigen." Und weiter: "Klatsch und Tratsch ist ein Selbstschutz, denn
es ist viel angenehmer, über andere zu reden." Das wird dir jetzt aber hoffentlich nicht die Freude am Dschungelcamp verleiden ...

Quelle: Im Grazia-Heft Nr. 3 vom 18. Januar 2024 erschienen