Was ich mache, würde ich keiner Freundin verzeihen. Nach den ersten Treffen mit Lennart habe ich noch versucht, mich rauszureden. Vor mir selbst. Ich habe mir eingeredet, dass Tina ja gar nicht wirklich eine enge Freundin ist. Höchstens eine gute Bekannte. Eine ehemalige Kollegin, mit der ich gelegentlich was trinken gehe. Und darum ist es irgendwie okay, dass ich ab und zu mit ihrem Mann schlafe? Eben. Es ist jenseits von okay. Ich tue es trotzdem. Jetzt, wo ich Lennart besser kenne (ja, wir unterhalten uns nach dem Sex), versuche ich, mein schlechtes Gewissen mit der nächsten dummen Ausrede einzulullen: So, wie sie ihn behandelt, muss sie sich nicht wundern, dass er sie betrügt. Aber muss er das mit mir tun? Oder, halt, muss ich es mit ihm machen? Nein. Muss ich nicht. Darf ich nicht. Warum tue ich es trotzdem? Weil ich ein schlechter Mensch bin?
Lennart ist, bei aller Schwäche, die er (für mich) hat, ein guter Mensch, davon bin ich überzeugt. Das war es auch, was ich gleich so an ihm mochte. Vor vier Monaten war ich mit Tina verabredet, ich weiß nicht mehr, warum, aber ich hatte sie zu mir nach Hause eingeladen. Sie brachte Lennart mit, ihren großen, ruhigen Ehemann, der mich aus hellblauen Augen ansah, lächelte und mir die Hand gab. Seine warme Hand. Ich wollte sie gar nicht mehr loslassen. Wir hatten einen wirklich entspannten Abend, Lennart und ich. Tina war angesäuert, was daran lag, dass sie ihn wohl lieber mit mir allein verbracht hätte.
Als Lennart und ich am Fenster standen, um zu rauchen (Tina nervt Qualm), bemerkte er: "Du brauchst neue Rollos. Die Dinger hier hängen ja ganz schief!" Ich grinste ihn an: "Ist das jetzt eine Feststellung oder ein Angebot?" Ich weiß noch, dass ich dachte: Schade, dass er mit Tina zusammen ist. Anscheinend steht er auf komplizierte Frauen.
Ja, das war gemein. Aber es war nur ein Gedanke (die gemeine Tat folgte später)
Und es stimmt: Tina empfindet ihr Leben als unverschämte Anhäufung von Frechheiten. Von der größten Frechheit, die ihr angetan wird, ahnt sie vermutlich nichts. So negativ ist sie dann doch nicht, dass sie ihre "Freundin", ja, sie nennt mich so, verdächtigt, sie mit ihrem Mann zu hintergehen. Tina war es sogar, die Lennart anpries, mit ihrer speziellen Art: "Wenn er nicht so ein guter Handwerker wäre, hätte ich ihn längst für den Chef verlassen. Aber bohren und nageln, das kann er!" Ja, das kann er. Zwei Wochen später stand Lennart in meinem Wohnzimmer und baute mein neues Rollo an. Ich war sehr beeindruckt von der coolen Selbstverständlichkeit, mit der er sich in meiner Wohnung bewegte. Halte dich zurück, dachte ich. Damals meinte ich noch: Halt dich zurück und flirte nicht mit ihm! Und denk nicht mal dran, mit ihm Sex zu haben.
Das klappte natürlich ganz wunderbar. Während er schraubte, stand ich hinter ihm, starrte auf seinen in Jeans verpackten Hintern, stellte mir vor, wie ich den beim Sex packen würde und wie dieser Kerl mich dann … Ich glaube mich zu erinnern, dass ungefähr an dem Punkt meine innerliche Moralalarmglocke laut schrillte und ich Lennart ein Bier aus dem Kühlschrank holte. Und noch eins. Und noch eins. Die Rollos hingen, wir saßen auf dem Sofa und haben gelacht und geredet (kein Wort über Tina). Es klingt blöd, aber es war, als würden wir uns ewig kennen. Auch der erste Kuss kam ganz selbstverständlich – und genauso "richtig" fühlte es sich an, als wir nackt waren. Warm, zärtlich, intensiv. Und das macht es so schwer, damit aufzuhören. Aber natürlich weiß ich, dass das nicht ewig so weitergehen kann. Vor wenigen Tagen schrieb Tina mir auch noch ungewohnt sachlich, dass gemeinsame Treffen demnächst nicht drin seien.
"Meine innerliche Moralalarmglocke schrillte. Aber ich ignorierte sie"
Sie müsse an ihrer Ehe arbeiten, eine andere Frau sei im Spiel. Ob sie längst von unserer Affäre weiß? Schon möglich. Ich habe mich nicht getraut, weiter nachzufragen – bisher habe ich mich auch nicht wieder mit Lennart getroffen. Ich fühle mich schäbig. Aber leider gibt es noch eine andere Seite: Ich habe große Sehnsucht nach ihm. Ob ich das mit ihm lassen kann? Ich weiß es einfach nicht.