
Es ist Freitagabend und ich zupfte noch ein letztes Mal vor dem Spiegel an meinem Off Shoulder-Kleid herum, bevor es an meiner Tür klingelt. In ein paar Sekunden werde ich abgeholt, um als "plus 1" einen 35. Geburtstag zu feiern. Pünktlich kommt meine Begleitung durch den Türrahmen spaziert und betrachtet mich nach einer schnellen Begrüßung mit prüfendem Blick: "Bist du nicht zu schick für die Veranstaltung? Alle anderen kommen in Jeans und T-Shirt", lautet das Urteil.
Ich blicke an mir herunter und sehe ein schwarzes schulterfreies Minikleid mit romantischen Ballonärmeln, kniehohe Stiefel und eine glitzernde Handtasche, die an meinem Arm baumelt. Was daran ist bitte verkehrt für einen 35. Geburtstag, schießt es mir durch den Kopf. Schnell umziehen, überlege ich und hechte in mein Schlafzimmer. Vor dem Spiegel der erneute Check: Also ich fühle mich wohl. Das Outfit bleibt!
Warum ist overdressen verpönt?
Nichtsdestotrotz beschäftigt mich der Gedanke "overdressed zu sein" noch nachhaltig. Ich bin nämlich ehrlich: Mein Kleiderschrank ist voll mit den unterschiedlichsten Looks, die andere übertrieben finden und ich habe bereits das eine oder andere Mal die Kritik gehört, mein Styling hätte auch simpler ausfallen können. Es ist jedoch so: Die Frage, zu schick gekleidet zu sein, stellt sich mir in den meisten Fällen gar nicht. Denn impliziert sie nicht eigentlich nur die Befürchtung, aus der Reihe zu tanzen?
Wenn alle anderen in zerrissener Jeans und einem alten T-Shirt – ich überspitze stark – den Geburtstag zelebrieren und ich im kleinen Schwarzen mit hohen Heels hereinspaziere, dann falle ich definitiv auf. Jemand könnte denken: "Wie eingebildet, die will nur im Mittelpunkt stehen." Oder: "Ihr Aussehen ist echt alles, was für sie zählt." Ja, das könnte durchaus passieren und wurde hinter verschlossener Tür sicher schon geurteilt. Aber könnte es nicht auch sein, dass mir diese Meinungen vollkommen egal sind und mich einfach die Lust packt, mich herauszuputzen, wann und wie ich will? Volltreffer!
Outfitwechsel wegen Unbehagen?
Als Modejournalistin habe ich ein Faible für neue Trends und ausgefallene Outfits. Ob ich aufgestylt eine ruhige Silvesternacht auf der Couch verbringe, einen gediegenen 35. Geburtstag im Minikleid mit hohen Absätzen stürme oder beim Besuch meines einjährigen Neffen mit einer Fendi-Tasche aufkreuze. Wenn der Look mir doch gefällt und ich mich wohlfühle, dann kann er nicht falsch sein. Ich habe deshalb keine Sorge vor Unbehagen oder davor, dass mein Kleidungsstil die soziale Interaktion im Allgemeinen beeinflusst. Im Gegenteil: Mode ist für mich nämlich mehr als nur ein Look. Sie gibt mir die Möglichkeit, mein Innerstes nach Außen zu tragen und ermutigt mich dazu, keine Angst zu haben, anders zu sein. Wenn überhaupt, kommt mir bei meiner Kleidungswahl der Gedanke, ob Babybrei auf der Designertasche landet. Aber mit dieser Problematik beschäftige ich mich im Fall der Fälle ...
Ich trage, was ich will, wann ich will, mit wem ich will
Mein Fazit ist deshalb Folgendes: Wer möchte, der passt sich seinem Freundeskreis und den Erwartungen anderer an. Verstellen muss sich aber garantiert niemand, um sich wohlzufühlen oder einer Gruppe anzugehören – und das nicht nur style-technisch. Zweifelsohne gibt es Momente, in denen wir aufgrund des Anlasses – sei es im Office oder als geladener Hochzeitsgast – nicht viel Spielraum haben. Ist der Dresscode aber nicht klar definiert, dann gilt für mich: Ganz gleich, ob ich zum Trainingsanzug oder dem kleinen Schwarzen greife – mein Kleidungsstil wird gewiss nicht den Personen meines Umfeldes angepasst. Mir ist es nämlich lieber in der Menge herauszustechen, als in der Menge unterzugehen.
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