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Alles Glamour oder purer Stress? Meine "Unpopular Opinion" über die Fashion Week

Durch die Linse der Influencer-Postings täuscht die Scheinwelt "Fashion Week" naive Zuschauer – mich inbegriffen. Warum die Modewoche in Mailand auch purer Stress und nicht nur Glamour und Glitzer ist, erzähle ich hier.

Ermanno Scervino Fashion Show Finale© Launchmetrics Spotlight
Ich war als Head of Social Media für GRAZIA in Mailand und habe die wichtigsten Shows für das Magazin begleitet. 

Die Mailänder Modewoche (MFW) ist vorbei und ich komme immer noch nicht dazu, meine Gedanken zu den vergangenen Tagen zu sortieren. Auf den Laufstegen der italienischen Fashion-Hauptstadt zeigten Designer wie Gucci, Prada, Versace und Co. ihre neuen Herbst-/Winter-Kollektionen vor Editors, Kunden, Buyers und VIP-Gästen. Das Ganze natürlich im großen, spektakulären Stil.Ich durfte die Events aus der zweiten (manchmal sogar ersten) Reihe bewundern und bin von den vielen Eindrücken erstmal komplett überfordert. 

Mein Alltag der vergangenen Woche sah ungefähr so aus: Eine Show jagte die nächste, von Pünktlichkeit keine Spur, "Ach ja, Präsentationen gibt’s ja auch noch!" und über das Thema Stau möchte ich gar nicht erst anfangen. Mein Fazit zur Milano Fashion Week: Glamourös? Ja. Purer Stress? Auf jeden Fall. 

Fashion Week: Wie schwierig ist es, ein Ticket zu bekommen?

Die Frage, wer überhaupt zu einer Modenschau eingeladen werden darf, stellen sich viele. Die Antwort ist einfach: jeder und niemand. Natürlich finden wir die Crème de la Crème des Modejournalismus in jeder wichtigen Front Row – von Anna Wintour bis hin zu Suzy Menkes –, doch seit einigen Jahren steigt die Präsenz von jüngeren Talenten und unbekannten VIPs bei den Shows gewaltig. Die Rede ist hier beispielsweise von Newcomer-TikTokern oder von Schauspielern, die gerade aufgrund eines neuen Films im Medienvisier stehen, aber auch von Z-Promis aus Trash-Sendungen à la "Big Brother". Viel Platz für Journalisten bleibt hier nicht. 

Was viele nicht wissen ist, dass es gar nicht mal so einfach ist, an Tickets für solche Shows zu gelangen. Selbst ein etabliertes Modemagazin wie GRAZIA hat es schwer, bei einigen Veranstaltungen einen Platz zu ergattern – und mit GRAZIA meine ich mich, Head of Social Media des Heftes. Dann wäre da noch diese Rangsache: Welchen Titel hast du als Modejournalist? Chefredakteur oder Fashion Director? Kein Problem. Alles, was unter diesen beiden Kategorien steht, wird erstmal infrage gestellt. Ein Ticket ist also nicht für jeden noch so talentierten und engagierten Editor gesichert. 

Das Allerwichtigste ist hier aber nur eines: Connections. Die Einladungen zu den Shows laufen meist über PR-Agenturen, welche Editors für ihre Länder auf die Gästeliste setzen oder dem Headquarter empfehlen können. Andere Brands haben dagegen keine externe Agentur, sondern ein In-House-Department, das sich um die Organisation kümmert. Ist man nicht gerade Chefredakteur oder Fashion Director, ist es wichtig, sich den PR-Managern der jeweiligen Brands am besten persönlich vorzustellen sowie die Beziehung zu ihnen und deren Marken über das ganze Jahr zu pflegen – und nicht nur kurz vor Fashion Week in deren Mailpostfach zu landen.

Meine Anfragen für die Show-Akkreditierungen sind bereits einen Monat im Voraus an die Brands rausgegangen. Das bedeutet: Jede einzelne Marke, PR-Firma oder Kunde wurde von mir per Mail angefragt und auf positive Rückmeldung gehofft. Für mich ist es nun die vierte Fashion-Saison in Milano und ich kann (stolz) sagen, dass ich bisher (fast) all meine Mailänder "Traum-Shows" besuchen und darüber vor Ort berichten durfte. Bei denen, wo es bisher noch nicht geklappt hat, bleibt die Hoffnung jedoch! 

Milano Fashion Week: Tolle Mode unter stressigen Bedingungen 

Wer jemals eine Modenschau besucht hat, kennt das Gefühl von Wunder, das einen vor Ort überkommt. Was mir jedoch bei einem Blick auf die Gesichter vieler Senior-Kollegen aus der ersten Reihe aufgefallen ist, ist der kritische und eher gelangweilte Ausdruck der Mode-Elite gegenüber der gezeigten Runway-Looks. Die Frage, ob dieses Staunen auch nach Jahren da ist, oder ob man sich nach längerer Zeit in der Branche an die ganze Extravaganz gewöhnt, sollte damit geklärt sein.

Für mich als Social-Media-Leitung von GRAZIA ist eine Sache bei Events dieser Art am wichtigsten: Content. Mein iPhone 15 Pro ist mein treuester Begleiter. Star-Gäste, Trends, und Location sollten stets per Kamera eingefangen werden und das am besten bei jeder Show. Multitasking ist hier eine Kunst, die gemeistert werden muss.

Schaut man sich dann genauer das Schedule der Mailand Fashion Week an, fällt eines auf: Die Schauen finden im Stundentakt statt und die Locations sind immer jeweils am anderen Ende der Stadt. Bereits die erste Show des Tages startet meist verspätet, die darauffolgenden verschieben sich dementsprechend. Ist die eine Show vorbei, kann man das gesammelte Publikum dabei beobachten, wie es nach dem letzten Applaus aufspringt und sich in Richtung Ausgang stürzt. Der Anblick ähnelt der Szene in "Shopaholic – Die Schnäppchenjägerin", in der Protagonistin Rebecca Bloomwood und Hunderte Käuferinnen den Laden stürmen und um das letzte Paar Gucci-Stiefel gekämpft wird. 

Das Gute an den ganzen Verspätungen ist, man braucht sich nicht allzu große Sorgen machen, dass man es nicht zur Folgeschau schafft. Denn schließlich weiß jedes Label, ob die vorherige Show verspätet angefangen hat und dass die Gäste erstmal zur nächsten Location gelangen müssen. In Mailand kann man sich bei der "Camera Nazionale della Moda Italiana" als Journalist, Fotograf oder Buyer für die Fashion Week akkreditieren lassen. Die Akkreditierung garantiert Zugriff zu exklusiven Events, sichert aber auch einen Platz auf den Shuttle Bussen, die Presse und Einkäufer sicher und (un-)pünktlich von einer Show zur nächsten bringen. Das Beste: Jede Brand wartet auf diese Busse und keine Show wird verpasst. 

Ich nutzte den langen Weg von einer Location zur nächsten meist, um die Eindrücke des Events Revue passieren zu lassen und um den geshooteten Content zu bearbeiten und schnellstmöglich online zu stellen. Bei Social Media heißt es schließlich: Schnell sein lohnt sich! 

Diese "Unpopular Opinions" haben die Gäste über die Fashion Week 

Meine "Unpopular Opinion" zur Modewoche ist ganz klar: Die Fashion Week ist nicht nur glamourös und makellos, wie sie von außen präsentiert wird, sondern purer Stress für die, die dort sind, um zu arbeiten. Was die anderen Gäste für Meinungen haben, hat mich natürlich brennend interessiert. So hat Skandi-It-Girl Emili Sindlev mir verraten, dass sie die Milano Fashion Week der Pariser präferiert. Ann-Kathrin Götze hat sich über den Stau, die Tatsache, dass man in dieser Woche nie einen Platz im Restaurant findet sowie den damit verbundenen Stress beklagt. Content Creatorin Tamara Kalinic findet die ganze FW-Atmosphäre dagegen total freundlich und gar nicht wie sie im "Der Teufel trägt Prada"-Klischee dargestellt wird. Im Gegenteil liebt sie es, Zeit mit ihren Freundinnen und Kolleginnen zu verbringen und sich von der schönen Mode inspirieren zu lassen.

Als wir jedoch Fotografen Leslie Kee, der seit über 16 Jahren in der Branche ist, nach seiner Meinung gefragt haben, warf er folgende Frage in den Raum: "Warum wird so vielen nichtssagenden Personen die Möglichkeit gegeben, bei Shows dabei zu sein und dafür anderen, hart arbeiteten Menschen aus der Branche die Chance genommen?".

Die Berlin-based Celebrity Stylistin Star Burleigh aus L.A. lieferte zudem einen ganz anderen Einblick hinter die Kulissen: "You have to pay to play!". Wer also einen gelungenen Auftritt hinlegen will, muss tief ins Portemonnaie greifen und viel Geld für Stylisten sowie Hair- und Make-up-Artisten einplanen, um "gut und stylisch" auszusehen. "Du wirst keinem Fotografen vor Ort auffallen, wenn du nicht in deinen Look investierst", so die Expertin. 

Darum liebe ich die Mailänder Modewoche trotzdem

Was sich erstmal nach ganz viel Stress anhört, hat natürlich auch seine positiven Seiten. Wenn ich eines mit Sicherheit schon immer gewusst habe, ist es, dass dieser mein Traumjob ist. Meine Leidenschaft für Mode mit meinem Beruf zu verbinden, darauf habe ich hingearbeitet und dass dieser Wunsch heute meine Realität ist, kann ich kaum fassen. Es ist also selbstverständlich, dass jeder Augenblick der Fashion Week ein Pinch-Me-Moment für mich ist, der den ganzen damit verbundenen Stress überspielt.

Mein neues Fazit zur Milano Fashion Week: Glamourös? Ja. Purer Stress? Egal. 

Verwendete Quellen:Redaktion, instagram.de