
Wir schreiben das Jahr 2018. In einer Folge von "Keeping Up With The Kardashians" bekennt sich Kim zu ihrem Erlöser – zwar nicht zu Gott, aber zu ihrem damaligen Ehemann Ye, der sich auch ganz gerne mit Gott vergleicht. "Ich dachte immer, ich hätte einen wirklich guten Stil – bis ich meinen Mann [Ye] traf und er mir sagte, dass ich den schlechtesten Stil hätte." Modisch habe Ye sie gerettet, beteuerte Kim jahrelang – später wird sie seinen Einfluss auf ihre Outfits kritischer sehen.
Rapper Ye (zuvor bekannt unter dem Namen Kanye West), drehte vergangenes Jahr medial seine Runden. Diesmal nicht mit Antisemitismus, sondern mit seinem neuen Album VULTURES 1 – wobei, dann ja doch irgendwie mit Antisemitismus. Gleichzeitig gelangen immer mehr Bilder von ihm und seiner Frau Bianca Censori an die Öffentlichkeit, in denen es wirkt, als habe Ye ihr ein Outfit (oder eher die Reste eines Outfits) sagen wir mal – zusammengestellt. Schnell drängt sich bei mir die Frage auf: Handelt es sich dabei um eine bloße Geschmacksverirrung, einen auserzählten PR-Stunt oder aber um eine gefährliche Form von Kontrolle? Und wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen Styling und Bevormundung?
Bianca Censori splitternackt bei den Grammys 2025
Jüngstes Beispiel irritierender Bianca-und-Ye-Performances ist ihr gemeinsamer Auftritt bei den gestrigen Grammy-Awards. Dort sorgte Bianca für einen modischen Eklat, indem sie – naja – auf Mode verzichtete. Stattdessen schritt sie, Ye nicht von der Seite weichend, splitternackt über den roten Teppich. Während manche Medien gutmütig auf den Hype um das Naked Dress verweisen und Bianca ein visionäres Trend-Gespür attestieren, finden wir den nackten Auftritt mindestens bedenklich.
Darum sorgen Bianca Censori's Outfits für Aufmerksamkeit
Mal mit nichts als einem Kissen bedeckt, mal splitternackt unter einem transparenten Regenponcho – die Outfits der Australierin Bianca Censori sind mindestens speziell. Sieht man Ye und Bianca nebeneinander, fragt man sich zuerst, welche Temperatur gerade herrscht; meist trägt sie nämlich einen Hauch von nichts, er hingegen hüllt sich mit Vorliebe in Ganzkörperanzüge oder versteckt sich hinter dunklen Gesichtsmasken.
Auf den Plattformen Instagram und X werden nun immer mehr Stimmen laut, die in Biancas Auftritten den kruden Kontrollwahn ihres Mannes sehen wollen. In der Kommentarspalte eines Pärchenfotos tummeln sich besorgte Fans: Sie vermuten, dass Ye hinter Biancas Looks steckt. So massiv die Vorwürfe, die sie an den Rapper richten, sein mögen, so plausibel scheinen sie mittlerweile. Er degradiere sie zum Objekt, nutze sie als bizarres Accessoire und kontrolliere ihr Auftreten, heißt es dort unter anderem.
Ein Wiederholungstäter? Kanye West und seine Historie, Partnerinnen einzukleiden
Es ist nicht das erste Mal, dass Ye offenbar Einfluss auf die Outfits seiner Partnerin nimmt. Kim Kardashian verglich er in der Vergangenheit bereits mit dem Cartooncharakter Marge Simpson: Nach einem Auftritt in Orange sagte er ihr Karriere-Aus hervor, was bei Kim ständige Angst vor einem Styling-Fauxpas schürte. Klingt pathologisch? Ist es auch.
Partnerschaftliche Gewalt gibt sich nämlich nicht immer auf den ersten Blick als solche zu erkennen. "Coercive control" heißt diese Missbrauchsform im Fachjargon. Dazu gehört die Überwachung von Finanzen, Bloßstellung in der Öffentlichkeit oder die zwanghafteKontrolle der Kleidung. Ob dies bei Ye und seiner Bianca zutrifft, lässt sich nur spekulieren. Beide haben sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert.
Bianca Censori's Looks haben nichts mit Empowerment zu tun
Sie immer halbnackt, er immer verhüllt – im Kern kein Problem, ist Bianca doch eine erwachsene Frau mit einem Abschluss in Architektur und einem eigenen Background in der Modebranche. Im Kontext mit Ye entwickeln ihre Auftritte allerdings eine problematische Dynamik.
Viel Haut zu zeigen, kann eine äußerst empowernde Wirkung haben. Keine Frage, jede Frau sollte das anziehen, worauf sie Lust hat – aber eben auch nur das, worauf sie Lust hat. Bianca Censoris Looks sind nicht empowernd, sondern besorgniserregend. Dabei geht es mir nicht per se um knappe Kleidung, sondern um den Mechanismus, den ich dahinter befürchte.
Schon lange kann die Kunst nicht mehr vom Künstler getrennt werden. Auch in seinem neuen Album besingt Ye wieder Vergewaltigungsfantasien und Zeilen wie "How I’m anti-semitic / I just fucked a jewish bitch" zeugen einmal mehr von seiner Radikalisierung. Ein Sexist mit antisemitischem Gedankengut und Gottkomplex also? Für mich liegt jedenfalls nahe, dass der 46-Jährige um jeden Preis Öffentlichkeit herstellen will. Dabei spielt ihm seine Frau Bianca als neue Projektionsfläche perfekt in die Karten: Er kann sie nach Belieben inszenieren, ihre Outfits kontrollieren und nebenbei sein neues Album promoten. Von Bianca selbst hört man bislang nichts.
Zudem stehen Bianca und Ye in einem noch ganz anderen Abhängigkeitsverhältnis, seit sie für seine Marke "Yeezy" arbeitet. Als Architectural Designer soll sie dort angestellt sein, ein Wissen über die Modebranche ist also vorhanden. So könnte man die schrillen Looks der 29-Jährigen auch aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Vielleicht sind sie gar kein Schrei nach Hilfe, sondern nur ein verzweifelter Schrei nach Relevanz in der Modeindustrie? Ye verlor durch seine antisemitischen Ausfälle schließlich das Ansehen der gesamten Branche.
Für mich plausibler: Ye macht seine Angestellte – ehm, ich meine Ehefrau – zum Accessoire und schmückt sich mit ihrem Körper. Leicht ruft es dabei immer aus dem Off: "Guck mal Kim, du bist ersetzbar".
Dürfen Männer ihre Frauen stylen?
Aber dürfen Männer ihren Frauen dann überhaupt noch Styling-Tipps geben? Gerne doch, wenn sich der Diskurs auf Augenhöhe abspielt. Sexistische Hasstiraden, Verschwörungstheorien und antisemitische Äußerungen stehen beim Rapper allerdings an der Tagesordnung – Respekt geht anders. Dass Ye nach zahlreichen problematischen Äußerungen noch immer eine Plattform bekommt und kürzlich sogar wieder die Spotify-Charts anführt, sorgt bei mir nur für Kopfschütteln.
Dass sich Ye auf VULTURES 1 mit bekannten Vergewaltigern misst, lässt sich vielleicht auch noch mit einem großzügigen Kopfschütteln abtun. Die Anschuldigungen, die Biancas Freunde erheben, hingegen nicht. "Bianca sitzt fest, und ihre Freunde versuchen, sie zu retten, aber niemand kann das, weil Kanye Blockaden um sie herum errichtet hat", verriet einmal ein Vertrauter der "Daily Mail". Sogar ihr engster Kreis befürchtet, dass Bianca von Ye bevormundet werden könnte.
Angesichts diverser Missbrauchsvorwürfe und einem eklatanten Machtgefälle lautet die Antwort in diesem Falle also "nein". Wer in einem Shirt mit der Aufschrift "White Lives Matter" durch die Gegend stolziert, sollte seine modischen Ratschläge ohnehin besser für sich behalten.
Verwendete Quellen: instagram.de, sueddeutsche.de, stern.de, musikexpress.de, womansaid.uk