
Royals-Experte Robert Hardman schreib zuletzt die Biografie "Queen Of Our Time" (Lübbe)
1. Ist Harry endgültig zum Verräter geworden?
Nicht mehr als vorher, wobei ich das Wort als zu stark empfinde. Das Buch sorgt für Schlagzeilen, sicher, doch wirkliche Knaller konnte ich nicht entdecken. Es enthält viele spannende Informationen und kleine Perlen über Zoff unter Verwandten. Für mich bleibt das Oprah-Winfrey-Interview die Sache, mit der Harry seiner Familie am meisten geschadet hat – vor allem mit der Behauptung, bei den Royals wäre Rassismus gang und gäbe. Verglichen mit der großen Wunde von damals verursacht Harry jetzt nur kleine Kratzer.
2. Ist es sein gutes Recht, das zu enthüllen, was hinter verschlossenen Palasttüren vor sich geht?
Er wuchs in einer Institution auf, in der Familienangelegenheiten stets unter Verschluss gehalten wurden. Aber ist das nicht in allen Familien so? Wer möchte schon, dass öffentlich schmutzige Wäsche gewaschen wird? Für mich hat Harry mit dem Buch dieses ungeschriebene Loyalitätsgesetz gebrochen.
3. Er behauptet darin ja, dass der Palast mit der Presse einen teuflischen Pakt eingegangen sein soll. Warum?
Das ist seine Sicht der Dinge, entspricht aber nicht zwingend den Fakten. Ich wünschte, es wäre so, dass man mal eben bei der Pressestelle im Buckingham Palast anruft und sofort die saftigsten Storys auf dem Silbertablett präsentiert bekäme. Wobei ich nicht ausschließen will, dass manche Informationen von Höflingen geleakt wurden, gewollt oder versehentlich. Aber seine Theorie, der Palast habe eine Verschwörung gegen ihn gesteuert und dafür mit den Medien gemeinsame Sache gemacht, halte ich für Unsinn.
4. Hat Harry alle Brücken zerstört, obwohl er behauptet, er wolle "Vater und Bruder zurück" haben?
Wer das Buch liest, wird feststellen, dass Harry stellenweise sogar nett über Charles schreibt und darüber, wie schwierig sein Job als alleinerziehender Vater war. Dass er gleichzeitig seine monarchischen Pflichten erfüllt hat und sie häufig über alles andere stellte, ist etwas, das nicht mal Harry ihm vorwirft. Trotzdem wage ich zu bezweifeln, dass eine wirkliche Versöhnung jetzt noch möglich ist.
5. Erwarten Sie offizielle Reaktionen seitens der Familie?
Nein, die wird es nicht geben.
6. Wird Harry von Charles' Krönung ausgeschlossen?
Das war hier und da schon zu lesen, aber ich glaube das nicht. Charles wird seinen Jüngsten und Meghan einladen, ganz offiziell – aber ob sie tatsächlich kommen, steht auf einem anderen Blatt.
7. Die beiden wollen ihre Titel vorerst nicht aufgeben, weil "es einfach nichts ändern würde", wie Harry sagt.
Eine arg flapsige Begründung. Selbst wenn es nichts ändern würde, wäre es ein starkes Symbol. Ich fürchte, Harry glaubt insgeheim, dass er ohne Titel nichts wert ist.
8. Diana bezeichnete die Royals einst als "Firma", ihr Sohn Harry und seine Frau sind eine Art Entertainment-Brand – aber was soll nun, da die Netflix-Doku und das Buch durch sind, noch von ihnen kommen?
Ich gehe davon aus, dass auch Meghan eine Autobiografie schreiben wird. Aber alles nur unter dem Aspekt "unglückliche Ex-Royals" zu verkaufen, verliert früher oder später seinen Reiz. Da müssen sie sich dringend was überlegen.
9. Ist Harry eine tragische Figur wie sein Urgroßonkel, der abgedankte Edward VIII., der nach dem Bruch mit den Royals ein zutiefst unglückliches, unerfülltes Leben führte?
Die beiden kann man nicht vergleichen, auch wenn es naheliegend scheint: zwei gutaussehende, beliebte Prinzen, die eine geschiedene Amerikanerin heirateten. Aber durch seine Abdankung brachte Edward VIII. die Monarchie und die britische Konstitution 1936 fast zum Einsturz. Dagegen ist der Megxit eine Lappalie. Ich glaube auch nicht, dass Harry unglücklich ist. Edward behielt selbst im Exil das höfische Zeremoniell bei, wollte weiter wie ein König behandelt werden. Harry ist das alles egal. Und ich denke, er genießt das freie Leben sehr, das er sich mit seiner jungen Familie in Kalifornien aufgebaut hat.

Uwe von Grafenstein ist Marketing- Experte und leitet die Firma "Geschichten, die verkaufen"
10. Hat Harry mit dem Buch seinem Ruf geschadet und an Marktwert eingebüßt?
Aus Storytelling-Perspektive ist interessant, dass Harry wieder in die uns vertraute Rolle des Krawallbruders zurückfällt. Ein Image, das er viele Jahre innehatte und das ihm Aufmerksamkeit geschenkt hat. Wir kennen alle die Skandalgeschichten um Drogenmissbrauch und Party-Exzesse. Mit dem Alter wurde Harry zwar ein neues Image übergestülpt – doch als "Good Guy" hat sich der Prinz offenbar selbst verleugnet und verloren. Dass er jetzt Randale macht, ist ein Muster, um wieder gesehen zu werden. Er hat ja auch nichts mehr zu verlieren. Als junger Prinz war er noch auf Position zwei der Thronfolge – mittlerweile ist er an fünfter Stelle und hat diesbezüglich keine Relevanz mehr. Von Williams Kindern ist ihm quasi das Lebensziel genommen worden. Jetzt macht Harry das Getöse um ihn zu Geld, was sehr clever ist. Er hat die Welle anrauschen sehen – und nun reitet er sie. Angeblich hat Harry mit seinen Medien-Aktionen 250 Millionen Dollar verdient, was eine gute Summe ist, um sich von der Familie unabhängig zu machen.
11. Es heißt, selbst schlechte Presse sei gute Presse – auch bei Harry?
Das könnte man so sagen. Er inszeniert sich als David, der gegen Goliath kämpft. Eine clevere Strategie, denn die Menschen mögen Underdogs. Und Harry will letztlich nur geliebt werden. Er weiß, welche Knöpfe er drücken muss, und hofft offenbar, die Institution Königshaus durch Evolution zu verändern. Was er aber aus- ruft, ist die Revolution! Eine hoffnungslose Anstrengung, denn der Palast wird sich nicht so schnell wandeln. Zwar braucht es letztlich immer einen Disruptor – jemanden, der Sand ins Getriebe streut. Und vielleicht blickt man in hundert Jahren auf die aktuellen Ereignisse zurück und stellt fest, dass von dem Harry-GAU tatsächlich eine Veränderung ausging. Aber aktuell gleicht Harrys Verhalten dem eines bockigen Kindes, das um sich tritt, um gesehen zu werden.
12. Wird sich die "Marke" Harry davon erholen?
Nur, wenn er ab sofort das Queen-Motto "Never complain, never explain" beherzigt. Und zwar so lange, bis sich der Sargdeckel über ihm schließt. Ein un- realistisches Szenario. Ich denke, dass Harry eine Art Pubertät erleben und sich vollständig von den Windsors abnabeln muss. Zwar ist er sehr öffentlichkeits- wirksam mit seiner Frau und den Kids nach L.A. "geflüchtet" – aber man weiß ja: Egal, wo wir hingehen, die Probleme nehmen wir im Rucksack immer mit.

Psychologin Sophie Lauenroth führt auch als Host durch den Podcast "Der pure Wahnsinn":
13. Hat die Arbeit an seiner Autobiografie Harry als eine Art Schreibtherapie gedient?
In vielen Therapieformen wird das Schreiben eines Tagebuchs angewandt und hat Studien zufolge positive Effekte, vor Geist in Dauerstress. Kein Wunder, dass Harry mit Problemen wie Angst und Panikattacken zu kämpfen hat. Noch ist er nicht da, wo er psychisch sein möchte, aber er ist auf dem Weg dorthin.
Vor allem, wenn auch über negative Erfahrungen geschrieben wird, wie es Harry in seinem Buch tut. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihm das Schreiben geholfen hat – wenn auch nur teilweise. Es braucht viele Jahre Therapie, um Traumata zu verarbeiten.
14. Reißt Harrys Buch nicht erst recht alte Wunden auf, auch bei anderen wie seiner Frau Meghan?
Es ist enorm wichtig, Traumata – vor allem jene aus der Kindheit und Jugend – zu verarbeiten, und leider muss jeder Betroffene durch den schmerzhaften Prozess gehen, alte Wunden aufzureißen. Das Buch dürfte Harry die Chance gegeben haben, diese Wunden genauer, vielleicht aus einer Art Vogelperspektive, zu be- trachten. Es ist nie ratsam, alte Wunden zu ignorieren. Der Tod seiner Mutter wird ihn als kleinen Jungen völlig aus der Bahn geworfen haben. Er schreibt, dass er damals nicht die Hilfe und Unterstützung bekam, die er gebraucht hätte.
15. Harry macht sich seelisch angreifbar, indem er der Welt sein Innerstes offenbart, oder?
Sogar extrem angreifbar! Er hat jahrelang versucht, den Schein zu wahren, fiel aber immer öfter durch untypische Verhaltensweisen auf und wurde damit zum Störenfried. Doch wenn man sein Verhalten aus psychologischer Perspektive betrachtet, fällt auf, dass es sich um eine Art Bewältigungsstrategie handelte. Erfahrungen wie der Tod seiner Mutter, die fehlende Unterstützung und weitere traumatische Erfahrungen versetzten seinen Körper und
16. Mit seinen Aussagen und Vorwürfen wird er sich neuen Zorn zuziehen. Fragt sich also, ob es das wert war.
Über sein genaues Motiv können wir nur spekulieren. Viele glauben, es wäre ein reiner Rachefeldzug – denn so kommt es rüber. Vielleicht diente das Buch aber auch dazu, seine Erfahrungen zu verarbeiten. Darin kommen viele intime Details ans Licht, die Angehörige und Freunde in ein schlechtes Licht rücken. Ein Enthüllungsbuch, das Beteiligte schlecht dastehen lässt, ist meiner Meinung nach keine gute Methode, um Familientraumata zu verarbeiten. Da hätte sich ein Buch, welches keine privaten Details über Angehörige ausplaudert, besser geeignet. So hätte Harry seinen guten Ruf vielleicht retten können.
17. Wird es ihm helfen, seine Traumata abschließend zu verarbeiten?
Es wird ihm jedenfalls helfen, zu sich selbst zu finden, Grenzen zu setzen und aus einer Rolle auszubrechen, in die er hineingeboren wurde, in der er sich aber niemals heimisch fühlte. Wichtig ist nun, dass er sich nicht sein Leben lang weiter mit diesen Themen auseinandersetzt. Er muss anfangen, sich von dem ganzen Drama abzugrenzen, endlich sein Leben als der "neue Harry" – wie er selbst sagt – anzufangen und gesündere Bewältigungsstrategien zu entwickeln.