
Ich kann nicht mehr genau sagen, wann ich erstmals einen Kauf mit "Man muss sich auch mal was gönnen" rechtfertigte. Aber ich weiß, dass ich schnell Gefallen an der simplen Ausrede fand, die jede meiner Shopping-Eskapaden legitimierte. Als meine Kollegin bei einem Blick auf meinen Mantel fragte: "Sag mal, ist der schon wieder neu?“, antwortete ich prompt: "Man muss sich halt mal was gönnen." Denn mit dem kuscheligen Mantel entgegne ich dem Frust über die kalte Jahreszeit. Der gleiche Satz fiel auch, als ich von meinem Vorhaben erzählte, der Kälte mit einer Reise nach Sansibar entfliehen zu wollen. Und auch den Iced Matcha Latte für sechs Euro rechtfertigte ich mit derselben Aussage.
Wer weiß schon, wie lange das hier alles noch gutgeht? Ganz abgesehen vom Klimawandel und seinen Folgen: Eine Eigentumswohnung in meinem Wahlheimat-Viertel Hamburg-Eppendorf werde ich mir wohl niemals leisten können. Warum also nicht den Moment genießen und sich dem kurzen Rausch der Glücksgefühle hingeben?
Doom Spending: Was steckt dahinter?
Was ich da mit meinen Rechtfertigungen tue, nennt sich übrigens "Doom Spending". "Doom Spending beschreibt das Verhalten, in Krisenzeiten vermehrt Geld auszugeben, um negative Emotionen zu kompensieren", weiß Karoline Bliemegger, Finanzexpertin bei Klarna. Klingt zunächst harmlos, kann jedoch schnell nach hinten losgehen. "'Ich gönn’ mir jetzt mal was' – diese Einstellung kennen viele von uns. Vielleicht hat der Tag schlecht angefangen, also gönnt man sich einen leckeren Iced Matcha Latte, um die Stimmung zu heben", beschreibt sie, was häufig in mir vorgeht.
Doom Spending ginge darüber noch hinaus: Die Sorgen um die Wirtschaft und das Gefühl, Sparen ergebe keinen Sinn, weil finanzielle Ziele unerreichbar schienen, führten dazu, dass Betroffene übermäßig viel Geld ausgäben.
"Es bleibt nicht beim Iced Matcha Latte – oft kaufen wir impulsiv mehr und scheuen uns nicht, Schulden zu machen",
warnt der Finanz-Profi.

Klarna-Finanzexpertin
Studien zeigen: Die Gründe des Doom Spendings
Ich muss zugeben, dass ich mich im Beschriebenen bis zu einem gewissen Grad wieder erkenne. Wird mir bewusst, dass ich Anschaffungen wie eine Eigentumswohnung niemals alleine stemmen werde, kompensiere ich dies mit kleinen Ausgaben, die sich läppern.
Was zunächst wenig einleuchtet, untersuchen aktuelle Studien genauer und legen die Gründe für den wachsenden "Doom Spending"-Trend offen. Bliemegger zufolge fühlen sich 14- bis 29-Jährige zunehmend pessimistischer und verunsicherter. "Gründe sind etwa die Angst vor Altersarmut oder die Sorge, kein erschwingliches Zuhause zu finden – beides hat oft mit Finanzen zu tun", sagt sie. "Im anhaltenden 'Krisenmodus' verspüren viele den Drang, sich etwas zu gönnen, da die Zukunft ungewiss erscheint. Ironischerweise kann Doom Spending das Gefühl vermitteln, in einem Bereich Kontrolle zu haben: 'Ich möchte mir etwas kaufen – und dann kaufe ich es auch'", erläutert die Expertin das Verlockende an dem Phänomen.
Stress und Langeweile? Die Auslöser erkennen
Wer sich jetzt fragt, wie oft und wann überhaupt diese spontanen Käufe bei mir passieren: Es mag absurd klingen, aber häufig reicht Langeweile aus, um einen Impulskauf auszulösen. Ein Beispiel gefällig? Während ich eine Netflix-Serie schaue, die mich einfach nicht catchen will, scrolle ich durch die Onlineshops, fülle meinen Warenkorb und bestelle mal hier, mal da. Für Bliemegger wenig überraschend:
"Besonders in stressigen oder langweiligen Momenten steigt die Neigung zu spontanen Käufen. Ein Kauf aktiviert den Belohnungsmechanismus in unserem Gehirn, was zur Ausschüttung von Dopamin führt und kurzfristig das Gefühl von Freude erzeugt."
Ich weiß genau, wovon sie redet. Das ist wohl mein "Vielen Dank für Ihre Bestellung"-Gefühl.
Und dann wären da noch die Sozialen Medien als Auslöser von emotionsgetriebenem Shopping. Scrolle ich durch meinen Instagram-Feed, werde ich zum leichten Opfer der nächsten Kaufrausch-Falle. "Attraktive Einkaufsumgebungen, geschicktes Marketing und Sonderangebote machen es schwer, zu widerstehen. Kurzfristige emotionale Schwankungen können den Kaufimpuls verstärken", bestätigt die Klarna-Expertin. Dass ich hierfür besonders anfällig bin, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Mein Problem? Ich speichere diese kurzfristige Bedürfnisbefriedigung als meine großzügigen Momente ab, in denen ich mich halt einfach mal selbst belohne – für meinen Job, meine Unabhängigkeit oder als bloße Aufheiterung im schnöden Alltag. Aber hey, Einsicht ist doch der erste Weg zur Besserung, oder?
Wie im Rausch und der Kater nach dem Shopping
Denn richtig gut fühle ich mich nicht mit meinen impulsiven Käufen, die gewisse Sorgen und Probleme kurzzeitig erträglicher machen. Zum Vergleich: Kennst du das Katergefühl nach einem alkoholischen Rausch? Der Moment nach dem Shoppingrausch fühlt sich nämlich an wie das morgendliche Erwachen mit einem schweren Kater, wenn die Euphorie des nächtlichen Exzesses der ernüchternden Realität weicht. Plötzlich spürst du die drückende Last deiner Entscheidungen – und das nicht nur im Kopf, sondern auch im Portemonnaie.
Bei dieser Vorstellung kommt in mir doch direkt der Wunsch auf, mich mit einem einzigen Klick in den Warenkorb besser zu fühlen. Aber nein! Die Expertin rät: "Schlafe eine Nacht über den Impulskauf, bevor du eine Entscheidung triffst." Und natürlich: Eine konkrete Budgetaufstellung helfe und sei essenziell für die eigene Unabhängigkeit.
"Ein guter Überblick über die Finanzen ist das A und O",
So simpel, so genial!
Doom Spending in den Griff bekommen: So gelingt's
Den Überblick über meine Finanzen habe ich längst: Zum Monatsbeginn gehen Daueraufträge für Fixkosten sowie das Sparen und Besparen von ETFs von meinem Konto ab. Ein Notgroschen ist ebenfalls angelegt. Was danach übrig bleibt, kann ich für Freizeitaktivitäten und Restaurantbesuche ausgeben – oder eben das impulsive Shopping, was nun einmal mein (durchaus berufsbedingtes) Laster ist. Die 50/30/20-Regel kann also für kluges Budgetieren angewandt werden.
Genau das rät mir auch die Expertin: "Ich empfehle allen, ihr verfügbares Geld in verschiedene Budgets aufzuteilen: 50 bis 60 Prozent sollten wir für Fixkosten und den alltäglichen Bedarf wie Miete, Versicherungen und Lebensmitteleinkäufe einrechnen. Mindestens zehn, besser 20 Prozent sollten wir sparen. Die Hälfte davon für mittelfristige Ausgaben wie Urlaube, die andere Hälfte für langfristiges Sparen, zum Beispiel für die Altersvorsorge." Solche konkreten Vorgaben können dabei helfen, die eigene finanzielle Situation realistisch einzuschätzen und strukturierte Entscheidungen zu treffen – ich tue das auch.
Spontankäufe kontrollieren – ohne sich einzuschränken
Muss ich deshalb jetzt jeden Spontankauf lassen oder am Ende bereuen? Nicht notwendig, beruhigt mich die Klarna-Expertin. Jedoch sollte ich mir zuvor folgende Fragen stellen: "Kann ich mir das Produkt leisten? Erfüllt der Kauf einen Zweck?" Möchte ich mir großzügige Momente gönnen, muss ich meine Finanzen genau kennen und klare Grenzen setzen.
"Wenn der Eimer leer ist, ist er leer!",
appelliert Bliemegger.
Für all jene, die gerne auf Shoppingtour gehen, hat die Expertin außerdem einen praktischen Tipp – die Nutzung eines Budget Trackers, wie beispielsweise in der Klarna App verfügbar. "Wir können Budget-Limits festlegen und sobald ein Kauf über Klarna getätigt wird, aktualisiert sich der Tracker automatisch." Der Clou: Die ständig kleiner werdende Zahl des Budget regt zum Nachdenken an und stärkt die finanzielle Disziplin.
Die Zukunftspläne sollten man beim Shopping außerdem stets im Hinterkopf haben: "In solchen Situation halte ich mir große Sparziele vor Augen: Wenn ich mir vorstelle, dass der spontane Kauf mich von meinen Zielen abhält, fällt mir der Verzicht leichter". "Loud Budgeting" heißt hier das Zauberwort. Offen darüber zu sprechen, wofür wir kein Geld ausgeben wollen und warum, könne uns vor unüberlegten Kaufentscheidungen bewahren und uns unsere Ausgaben bewusster machen.
Den Konsumrausch mit finanzieller Achtsamkeit zähmen
Mein Fazit? Aufgrund von Stress, Langeweile und Weltschmerz bleibt der Gedanke "Man gönnt sich doch sonst nichts!" verlockend. Doch indem wir uns der Verführung des Doom Spendings bewusst werden, können wir uns selbst neue Ziele setzen. Eine Nacht über den Kauf zu schlafen, die langfristigen finanziellen Auswirkungen zu bedenken und uns stets vor Augen zu halten, was wirklich zählt, sind wirksame Strategien. So gewinnen wir Kontrolle zurück und treffen bewusstere Entscheidungen – für eine finanzielle Zukunft, die nicht im Nebel des Konsumrausches verloren geht.