
Spätestens im Sommer holen wir (endlich) wieder kurze, luftige Kleider, Miniröcke, Crop-Tops und Co. aus der Versenkung unserer Kleiderschränke. Schließlich machen sie die heißen Tage und lauen Abende nicht nur noch ein bisschen schöner, sondern auch erträglicher – wären da nicht die belästigenden Blicke in der U-Bahn, das “Catcalling” auf dem Bürgersteig oder die beleidigenden Rufe auf dem Weg zur Party-Location. Selbst vor ungefragten Berührungen ist man längst nicht mehr geschützt. Klar, sexuelle Belästigung legt das gesamte Jahr lang keine Pause ein, doch nimmt die luftige Sommerkleidung zu, scheint sie ihren traurigen Höhepunkt zu finden.
Um sich vor sexueller Belästigung jeglicher Art zu schützen, tragen viele Frauen sogenannte “Subway Shirts” – und zeigen diese auf TikTok. Wir erklären, was es mit dem Trend auf sich hat und warum er auch Kritik auslöst.
Das steckt hinter dem “Subway Shirt”
Unter einem “Subway Shirt” versteht man ein langes, weites T-Shirt (alternativ auch ein Hemd oder ein Sweatshirt), das über dem eigentlichen Outfit getragen wird. Letzteres ist häufig figurbetont, kurz oder hat einen tieferen Ausschnitt und wird absichtlich bedeckt, um die Trägerin vor unangenehmen Blicken oder sexueller Belästigung wie etwa “Catcalling” zu schützen. Entstanden ist der Begriff in den USA, in diesem Sommer trendet er auf der Social-Media-Plattform TikTok. Dort teilen Userinnen Videos, in denen sie zunächst ihr Outfit inklusive weitem T-Shirt oder Pullover zeigen. Sind sie sicher am Zielort angekommen, ziehen sie das Oversize-Oberteil aus und präsentieren das eigentliche Sommer- oder Party-Outfit, das sich darunter befindet.
Mittlerweile hat der Hashtag #SubwayShirt fast 18 Millionen Aufrufe. Längst teilen nicht mehr nur Frauen aus New York ihre “Subway Shirts” und Erfahrungen, auch in anderen Großstädten wie Berlin und Paris werden kurze Videos und Fotos aufgenommen und anschließend auf TikTok veröffentlicht. Mit diesen Aufnahmen sowie dem Hashtag machen Frauen weltweit auf sexuelle Belästigung im Alltag aufmerksam und zeigen dabei, – wieder einmal – wie üblich sie heutzutage ist.
Auf TikTok teilen Frauen, wie etwa die Userin @hanselkai, Videos, in denen sie einander daran erinnern, das "Subway Shirt" nicht zu Hause zu vergessen.
Userin @rae.hersey teilt derweil ein Video, in dem sie ihr, am sicheren Ort angekommen, "Subway Shirt" auszieht.
“Subway Shirt”: Das ist die Kritik am TikTok-Trend
In den sozialen Medien bekommt der Trend viel Zuspruch, doch es gibt auch eine Kontroverse um den TikTok-Trend. In der britischen Zeitung “The Guardian” spricht etwa Leora Tanenbaum, Autorin des Buches “I Am Not a Slut: Slut-Shaming in the Age of the Internet”, darüber, dass sie es zwar fantastisch finden würde, dass der Trend auf sexuelle Belästigung im Alltag aufmerksam mache, es dennoch kein “Subway Shirt” brauchen sollte, um nicht belästigt zu werden.
Mit dieser Aussage spielt sie auf das sogenannte “Victim Blaming”, bei dem die Schuld dem Opfer zugeschoben wird (Täter-Opfer-Umkehr), an. Dieses Narrativ wird häufig im Rahmen von sexueller Belästigung verfolgt, um Frauen aufgrund ihrer kurzen oder figurnahen Kleiderwahl die Schuld an sexuellen Übergriffen zu geben. Auch Anna Lovine, Redakteurin bei der britisch-amerikanischen Nachrichten-Webseite "Mashable", kritisiert in einem Artikel, dass das “Subway Shirt” das “Victim Blaming” unterstütze. Dass Kleidung der Grund für sexuelle Belästigung sei jedoch, so schreibt sie, ein ewiger Mythos. Vielmehr ginge es hierbei darum, Macht über eine andere Person – unabhängig vom Outfit – auszuüben. Das Tragen eines weiten Oberteils würde die Grundproblematik letztlich nicht lösen. Auch Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß betont dies in einem Interview mit dem ZDF.
Und damit haben sie leider recht. Trotzdem zeigt der TikTok-Trend um das “Subway Shirt” Alltagssexismus sowie die weite Verbreitung sexueller Belästigung auf und schafft Aufmerksamkeit. Und: Bestenfalls fühlen sich Frauen in einem weiten, schützenden Oberteil – so traurig es auch ist – erst einmal wohler. Der Diskurs sowie letztlich, noch viel wichtiger, die Behandlung des eigentlichen Problems und dessen Ursprung, dürfen jedoch nicht ausbleiben.
Dennoch sei an dieser Stelle noch einmal angemerkt: Eine Person ist niemals schuld daran, wenn sie Opfer eines sexuellen Übergriffs oder einer sexuellen Belästigung wird – ganz gleich, ob sie sich dazu entscheidet, kurze Kleidung, figurbentonende Silhouetten, viel Make-up oder keinen BH zu tragen. Nichts davon rechtfertigt es, Personen in irgendeiner Form zu belästigen, sei es durch:
- Pfiffe
- unangenehme Blicke
- ungefragte (auch vermeintlich “zufällige”) Berührungen
- sexuelle Übergriffe
- obszöne Sprüche oder Witze
- Bemerkungen über das Aussehen
Ist dir sexualisierte Gewalt widerfahren, kannst du dich immer an das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” unter der Nummer 08000 116 016 wenden. Weitere Informationen findest du auf der offiziellen Webseite des Hilfetelefons.
Verwendete Quellen: TikTok, The Guardian, ZDF, Mashable, "Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen"