
Ein packendes Projekt von drei extrem unterschiedlichen Frauen: Hollywoodstar Jennifer Lawrence, Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai und die Regisseurin Sahra Mani taten sich für eine aufwühlende Doku über das Schicksal afghanischer Frauen unter der Taliban-Herrschaft zusammen. Als einziges Magazin in Deutschland hatte GRAZIA Gelegenheit, mit Sahra und Malala zu sprechen.
Als in den späten Augusttagen 2021 Kabulfiel und die Taliban Afghanistan erneut eroberten, war Sahra Mani (33) zufällig in Europa. Die afghanische Regisseurin hatte die Einladung des Filmfestivals von Venedig angenommen, um dort ihre aktuelle Arbeit zu zeigen. Angesichts der erschreckenden Bilder und Meldungen aus ihrer Heimat war ihr sofort klar, dass sie nicht nach Hause zurückkehren konnte. Vorerst nicht. Und vielleicht sogar nie mehr. Denn für emanzipierte Frauen wie Sahra, die sich politisch engagieren und all die Freiheiten auf keinen Fall wieder aufgeben wollten, die sie sich in den 20 Jahren davor mühsam erkämpft hatten, würde ein Leben unter der radikalislamischen Diktatur lebensgefährlich.
In dieser Hinsicht machte sich Sahra Mani keine Illusionen. Obwohl die Taliban behaupteten, sie würden nichts am Status quo ändern. "Das habe ich ihnen nicht geglaubt. Und die Realität zeigt, dass es von Anfang an ihr Plan war, die Situation der Frauen täglich zu verschärfen." Seit drei Jahren lebt sie nun schon im Exil, zuletzt in Paris, und bangt jeden Tag um Familie und Freunde, die im Land zurückgeblieben sind. Es ist ein Schicksal, das sie mit vielen Landsfrauen teilt. Millionen Afghaninnen konnten allerdings nicht fliehen und sind nach und nach aus dem Straßenbild verschwunden. "Sie sind zu Geistern geworden", sagt sie, "regelrecht unsichtbar. Und jeder neue Tag kann ihnen Verfolgung, Haft und schlimmstenfalls den Tod bringen."
Unser Film ist nicht nur eine Geschichte des Verlustes. Es ist eine Geschichte der Hoffnung.
Das will Sahra Mani nicht so einfach hinnehmen. Deshalb kämpft sie mit ihren Waffen gegen die "Terroristen", wie sie die Taliban im Gespräch mit GRAZIA nennt. Ihr neuer Dokumentarfilm "Bread & Roses" (Apple TV+) entstand aus dem Impuls heraus, unbedingt etwas für ihre Geschlechtsgenossinnen tun zu müssen, selbst aus der Ferne. Bei der Umsetzung ihres Projekts konnte sie sich auf prominente Mitstreiterinnen stützen: Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence (33) sowie Malala Yousafzai (26), die 2014 den Friedensnobelpreis für ihr Menschenrechtsengagement erhielt.
"Als ich von dem Projekt hörte, wusste ich sofort, dass ich mit dabei sein wollte", so Yousafzai zu GRAZIA. Sie stand mit Rat und Tat zur Seite und fungierte schließlich als ausführende Produzentin. "Denn es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass so viele Menschen wie nur möglich von den Zuständen in Afghanistan erfahren. Es ist das einzige Land auf der Welt, das Mädchen nach der Grundschule die Weiterbildung verbietet und erwachsenen Frauen Arbeit und den Zugang zu Universitäten. Dass sich nach all den Fortschritten seit Beginn der Demokratisierung in den 2000er-Jahren die Geschichte wiederholt und die Taliban die Uhr zurückdrehten, war ein unbeschreiblicher Schock für die Mädchen und Frauen."
Dies ist ein Albtraum, der für mich nur schwer vorstellbar ist.
Auch Schauspielerin Jennifer Lawrence ("Don’t Look Up") war so entsetzt von den Ereignissen in Afghanistan, dass sie vor drei Jahren mit ihrer Produktionsfirma Excellent Cadaver einen Dokumentarfilm zum Thema anschieben wollte. Sie sprach Sahra Mani an, deren Film "A Thousand Girls Like Me" sie bewunderte. Gemeinsam entwickelten sie die Idee, eine Doku zu drehen, die das Leben unter den Taliban von innen zeigen sollte. Da Mani aber nicht nach Kabul reisen konnte, kontaktierte sie Vertraute im Land und schaffte es auf diesem Wege, drei junge Afghaninnen für das Konzept zu begeistern. "Das sind moderne Frauen, die ihr Wissen und ihre Talente in den Dienst der Gesellschaft stellen möchten. Doch sie sind zu einem Leben im Gefängnis ihres Zuhauses verurteilt." Mani und ihre Mittelsleute brachten ihnen bei, wie sie mit ihren Smartphones verdeckt filmen, aber trotzdem durchweg professionelle Aufnahmen machen konnten. Das klingt harmloser, als es letztlich war.
"Unsere Heldinnen setzten sich permanent großer Gefahr aus. Hätten die Taliban sie beim Filmen erwischt, hätte das schlimmste Konsequenzen haben können." Außerdem lernten sie, die Handyspeicher definitiv zu löschen, damit das verschickte Material nicht anschließend in falsche Hände geraten konnte. Es gelangte auf vielen Wegen und Umwegen ins Ausland zu Sahra Mani. Die Aufnahmen strukturierte und verdichtete sie so, dass am Ende der 90-minütige Film "Bread & Roses" stand. Sein trügerisch poetischer Titel leitet sich übrigens von einer Rede der US-Suffragette Helen Todd ab. Im Mai 2023 feierte Manis Doku beim Filmfestival in Cannes Weltpremiere. Und stieß auf gewaltige Resonanz.
Unsere drei Heldinnen stehen stellvertretend für Millionen afghanischer Frauen.
Das Tragische: In dem Jahr, das seitdem vergangen ist, hat sich an der Lage der afghanischen Frauen nichts zum Positiven hin verändert, im Gegenteil: "Die Unterdrückung ist schlimmer geworden", so Mani. Deshalb sei "Bread & Roses" auch aktueller denn je. Mit Erleichterung in der Stimme verrät Sahra Mani, dass den drei Frauen inzwischen die Flucht ins Ausland gelungen ist. Wo sie zumindest vor den Taliban in Sicherheit sind. "Die nahmen ihnen nicht nur alle Rechte und Freiheiten, sondern stahlen auch ihre Häuser. Das eigene Land verlassen zu müssen, die eigene Familie zurückzulassen, um in Sicherheit zu sein, ist ein Albtraum, der für mich nur schwer vorstellbar ist", sagte Jennifer Lawrence in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin "Time".
"All die schrecklichen Konflikte rund um den Globus", so Sahra Mani, "die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen haben zur Folge, dass die Welt die Frauen Afghanistans vergessen hat. Das ist ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl!" Ihr kommen die Tränen, als sie das sagt. Eine Sekunde später hat sie sich wieder im Griff. Mit ihrem Film über den Mut und den Widerstand ihrer Landsfrauen wolle sie erreichen, dass "insbesondere Feministinnen, aber auch Menschenrechtler und die menschliche Gemeinschaft als Ganzes ihre Stimme erheben und die Frauen Afghanistans nicht im Stich lassen. Denn wenn wir uns nicht heute gegen die Taliban stellen, ist es morgen vielleicht endgültig zu spät." Sie macht eine Pause. "Wir dürfen nicht vergessen: Afghanistan gehört zu dieser Welt."
Verwendete Quelle: Text erschienen im GRAZIA-Heft 14/2024