
Fünf Jahre lang habe ich auf Sankt Pauli gewohnt. Das Partyviertel in Hamburg mit der Reeperbahn als Herzstück ist den meisten wohl bekannt. Wahrscheinlich aber nur, als Ort, den man besucht, um im Goldenen Handschuh ein Glas Bier zu trinken, sich im Pulverfass eine Boulesque Show anzuschauen oder auf der Großen Freiheit von Club zu Club zu ziehen.
Ja, genau dort habe ich gelebt. Kam ich von der Arbeit, aus dem Gym oder von Freunden, begegnete ich dem Partyvolk auf der Straße. Ich musste nur das Haus verlassen und hörte schon wie Leute Partyhymnen grölten. Sexistische Sprüche von Betrunkenen gehörten fast schon zu meiner Tagesordnung und ich musste mir ein dickes Fell zulegen. Einer, der auf den ersten Blick für einige vielleicht nicht sexistisch wirkt, für mich aber ein absoluter Trigger ist, ist der Spruch "Lächel doch mal". Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich diesen Satz schön gehört habe – auf und abseits der Reeperbahn.
Warum Frauen nicht immer "nett" sein müssen
"Warum schaust du denn so böse?", "Schau doch mal etwas lieber!", "Komm Süße, schenk mir doch mal ein Lächeln!", "Du siehst viel hübscher aus, wenn du mehr lächelst!". Diese oder ähnlich Sätze haben wohl die meisten Frauen schon mal gehört. Irgendwie scheinen sich vor allem Männer oft dazu berufen zu fühlen, uns Frauen zum Lächeln zu bringen – nur nicht auf die gute Art und Weise durch Humor, sondern durch Aufforderungen, die extrem sexistisch sind.
Warum ich (und viele andere Feministinnen) Sprüche wie diese dem Alltagssexismus zuordne? Durch Aussagen wie diese, wird ein sehr spezifisches Frauenbild eingefordert. Nämlich das der Frau, die immer freundlich, immer nett und immer zuvorkommend ist. Eine Frau, die nur hübsch aussieht, wenn sie (für einen Mann) lächelt. Eine Frau, die genau dem Frauenbild entspricht, wie es sich der Patriarch vorstellt.
Natürlich können wir Frauen all das sein. Wir können lieb sein, wir können nett sein, wir können zuvorkommend sein und lächeln. Aber wir können eben noch mehr. Wir können stark sein, Ansagen machen, können laut sein, eine eigene Meinung vertreten und dabei auch mal unbequem sein. Vor allem aber können wir so existieren, wie wir sind. Mit allen Stimmungen und Emotionen, die es gibt. Ist uns zum Lächeln zumute, lächeln wir. Sind wir traurig, weinen wir. Sind wir wütend, darf man es uns ansehen. Sind wir in Gedanken, darf unser Gesicht auch mal einfach nichts tun.
Das Wichtigste ist aber: Wir sind dazu fähig, selbst zu entscheiden, wie wir uns fühlen und wie wir das nach außen tragen. Sprich: Ist mir nicht zum Lächeln zumute, werde ich es sicher nicht tun, nur weil ein glatzköpfiger Mitte-50-Jähriger mit einer viel zu engen Hose so gerne mein schönes Lächeln sehen will.
"Aber das war doch nur nett gemeint"
Ich lächele schon lange nicht mehr auf (männliche) Aufforderung. Stattdessen ziehe ich mit meinem Resting Bitch Face von dannen oder – wenn es die Situation und meine mentale Verfassung erlauben – konfrontiere den Sprücheklopfer.
Was ich dann zu hören bekomme? "Aber das war doch nur nett gemeint!", oder "Ich hab doch nichts Schlimmes gesagt!". Klar: Natürlich gibt es Schlimmeres, als eine Frau zum Lächeln aufzufordern. Viel Schlimmeres sogar. Trotzdem sind diese Sprüche für mich und viele andere Frauen extrem nervig und sind schlicht und einfach sehr unnötig und unangebracht.
Auch Frauen haben das Recht darauf, schlecht gelaunt zu sein oder auch einfach nur in Gedanken zu sein, ohne dass sie 24/7 mit einem Joker-Lächeln im Gesicht herumlaufen zu müssen. Sie können Grimassen ziehen, ihre Stirn runzeln und ganz einfach das mit ihrem Gesicht machen, was sie wollen.
Kleiner Tipp an die Männer, denen ein solcher Spruch locker von den Lippen geht: Eine fordernde Anweisung dazu, was wir Frauen mit unserem Gesicht tun sollen, stimmt wirklich niemanden glücklich und sorgt – in den meisten Fällen – eher für Unbehagen als Glücksgefühle. Wie wäre es also damit, einfach mal die Klappe zu halten und sich um den eigenen Kram zu kümmern, statt sich ungefragt über die Position der Lippen einer anderen Person zu äußern? Dann könnte ich es vielleicht auch mal schaffen, die Reeperbahn entlangzugehen, ohne Aufklärungsarbeit zum Thema Alltagssexismus leisten zu müssen.