
Es ist 6:30 Uhr morgens, als der Fahrstuhl eines Düsseldorfer Krankenhauses pingt und mir damit signalisiert, dass ich angekommen bin. Etage vier, Abteilung Senologie. Es ist noch nicht viel los, bis auf ein paar Schwestern ist kaum jemand in den langen Fluren unterwegs. Es ist still und friedlich. Die Ruhe vor dem Sturm. Ein Sturm, der in mir schon seit Tagen unaufhörlich wütet – und mich auch an diesem Morgen wieder so nervös macht. Dabei sollte man meinen, dass ich langsam abgestumpft bin – nach allem, was in den letzten sieben Monaten passiert ist. Brustkrebsdiagnose, Entdeckung der BRCA2-Mutation, Chemotherapie … die Liste ist lang und dennoch noch lange nicht am Ende. Was noch fehlt: die beidseitige Mastektomie!
Die Krankenschwester drückt mir dafür ein verwaschenes OP-Hemdchen in die Hand. Ab aufs Zimmer, raus aus den Klamotten, rein in den dünnen Baumwollkittel. Der Arzt malt letzte Markierungen auf meinen Oberkörper, reicht mir zwei Tabletten, bittet mich, mich hinzulegen und schon geht es – wieder mit dem Fahrstuhl – runter Richtung Operationssaal. Ping, diesmal sind wir im Untergeschoss.
Der Narkosearzt wartet schon auf mich, setzt mir eine Maske auf, lässt mich von meinem letzten Urlaub erzählen, weit komme ich aber nicht. Das Letzte, woran ich mich erinnere: Die Tiefenentspanntheit, die mich wie auf Wolken ins Reich der Träume trägt. Sechs Stunden später wache ich wieder auf – und von meinem schönen Traum ist nicht mehr viel übrig. Genauso wenig wie von meinen Brüsten.
Brüste weg – Schuldgefühle da
Ich gebe zu: In den vergangenen Jahren stand ich mit meinem Körper auf Kriegsfuß. Hier zu kurvig, da zu wabbelig, dort zu unförmig. Als ich kurz nach der Diagnose im Juni 2023 erfahren habe, dass mir beide Brüste amputiert werden müssen, war mein erster Gedanke deshalb: "Okay, sie haben mich eh im Stich gelassen und zu groß sind sie obendrein auch noch. Nehmt sie ruhig ab!" Gnadenlos, wie ich immer über meinen Körper gesprochen habe, war mir nicht bewusst, wie nah mir dieser Verlust am Ende dann doch gehen würde.
Eine späte Erkenntnis. Meine Brust, die mich 35 Jahre lang begleitet hat, ist weg und liegt nun irgendwo auf einem Tisch in der Pathologie, um untersucht zu werden. Stattdessen befinden sich nun zwei Silikonimplantate in meinem Körper, damit ich zumindest optisch diesen Teil meiner Weiblichkeit nicht einbüßen muss. Richtig realisieren kann ich das zu diesem Zeitpunkt nicht, obwohl die Implantate unter meiner Haut deutlich spürbar und die zahlreichen Narben nach dem Eingriff nur allzu sichtbar sind.
Mastektomie: Zwischen Schmerz und Versöhnung
Die nächsten Tage wechseln sich Schmerz und Taubheit ab – einige Teile meiner neuen Brust werden nach der Mastektomie für immer gefühllos bleiben, die Brustwarzen nie mehr so aussehen wie vorher. Trotzdem: Rein optisch werde ich überrascht – sie sieht natürlicher aus, als ich es für möglich gehalten hätte. Meine große Angst, nach dem Verlust meiner Haare und der starken Gewichtszunahme durch die Chemotherapie, nun auch noch mit einer künstlich aussehenden Brust leben zu müssen, hat sich zum Glück nicht bestätigt.
Stattdessen sehe ich den Eingriff als Chance, mich endlich mit meinem Körper zu versöhnen, obwohl oder vor allem wegen dem, was er die letzten Monate erleiden musste. Ein dreiviertel Jahr, in dem sich einfach alles verändert hat. Neun Monate, in denen ich konstant Angst hatte und mich oft nicht wiedererkannt habe. Aber eben auch fast ein ganzes Jahr, in dem ich gemerkt habe, wie stark ich sein kann und gelernt habe, auch mal stolz auf mich zu sein. Ein dreiviertel Jahr, das sich anfühlt wie ein ganzes Leben.
Vorsorge ist besser als Nachsorge: Eine BRCA-Mutation wird vererbt!
Kein Wunder, schließlich war ich vorher noch nie ernsthaft krank. Der grippale Infekt, der mich einmal im Jahr immer pünktlich Mitte Januar heimgesucht hat, war unangenehm, aber nichts, worüber ich mir Sorgen machen musste. Nicht einmal Corona hat mich bislang erwischt. Ich dachte, so würde es für immer weitergehen – mein Immunsystem und mein Körper lassen mich niemals im Stich. Die Erkenntnis, dass ich und mein Körper doch nicht mehr so unangreifbar sind, wie ich immer dachte – schwer zu akzeptieren!
Allen Versöhnungsansätzen zum Trotz frage ich mich natürlich noch oft: Warum wurde die BRCA2-Mutation ausgerechnet an mich vererbet? Warum musste ich diese Chemotherapie, die mich mein Selbstwertgefühl und so vieles mehr gekostet hat, ertragen? Warum mussten mir die Brüste abgenommen werden und warum ist es danach noch immer nicht vorbei? Dieses quälende "Warum?", das sicher noch lange keine Ruhe geben wird, vor allem, da es auf so vieles keine Antworten gibt.
Ob die Genmutation BRCA2, das sogenannte Brustkrebs-Gen, wirklich Schuld daran hat, dass ich so früh an Brustkrebs erkrankt bin, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Genauso wenig, ob ich ohne Gendefekt niemals daran erkrankt wäre. Fakt ist allerdings: Jede achte Frau erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs, Träger des BRCA-Gens (1 oder 2) haben sogar ein etwa 70-prozentiges Risiko die Krankheit zu bekommen und ein Risiko von 20-45 Prozent für Eierstockkrebs. Die Vorsorge ist daher das A und O, zumal das Gen zu 50 Prozent weitervererbt wird (auch an Männer by the way!).
Sollten in der Familie also mehrere Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs bekannt sein, lohnt es sich, sich auf die Gen-Mutation testen zu lassen, um dann gegebenenfalls engmaschig und präventiv beobachtet zu werden. Es ist lediglich eine klitzekleine Blutabnahme, die im Zweifel aber Leben retten kann.
"Sie sind krebsfrei" – und doch noch nicht geheilt
Ich habe erst im Rahmen meiner Diagnose herausgefunden, dass das Brustkrebs-Gen von meinem Vater an mich vererbt wurde. Was hätte ich dafür gegeben, wenn ich früh genug eine darauf zugeschnittene Prävention erhalten hätte. Vorsorge ist nun mal immer besser als Nachsorge!
Der Weg meiner Nachsorge ist dagegen noch lang, aber die wichtigsten Etappen habe ich geschafft. Zehn Tage nach der Mastektomie höre ich endlich die befreienden drei Worte: "Sie sind krebsfrei"! Die Krebszellen, die die Chemotherapie noch nicht wegbekommen hat, konnten mit der Brustabnahme entfernt werden. Damit das hoffentlich so bleibt, liegen nun aber noch einige Jahre medikamentöse Therapie vor mir. Währenddessen wird alle drei Monate geprüft, ob der Krebs sich einen Weg zurück gebahnt hat.
Es wird immer wieder Momente geben, in denen meine Nerven blank liegen werden und die Angst, die in den vergangenen Monaten zu meinem ständigen Begleiter geworden ist, die Überhand gewinnt. Dennoch weiß ich jetzt: Es hat sich alles gelohnt – jede einzelne Etappe dieser furchtbaren Reise, denn ich habe wieder eine Perspektive. Die Perspektive, irgendwann geheilt zu sein. Und sollte der Krebs doch einmal zurückkehren, weiß ich, dass ich meinem Körper vertrauen kann. Denn auch wenn er in meinen Augen noch immer viel zu kurvig, zu wabbelig und zu unförmig ist, so ist er vor allem ein echtes Kraftbündel.