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Brustkrebs mit 35: "Und plötzlich muss ich ums Überleben kämpfen"

Ich bin Ann-Christin, 35 Jahre alt, Redaktionsleiterin von Grazia Digital und seit Juni weiß ich: Ich habe Brustkrebs. Von mentalen und körperlichen Grenzerfahrungen, Haarverlust und warum es am Ende eben doch nicht immer nur "die Anderen" trifft.

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Ich sitze in einem braunen Ledersessel, die Füße hochgelegt, das Handy in der Hand und ich scrolle durch meinen Instagram-Feed. Vorbei an Streetstyle-Bildern aus Paris, fancy Frühstücksbowls und paradiesischen Urlaubs-Schnappschüssen. Auf dem kleinen Bildschirm in meiner Hand scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Alles ist hübsch, gut gelaunt und perfekt durchgestylt. Ein Leben wie aus dem Bilderbuch. Zumindest oberflächlich betrachtet. Bis vor wenigen Wochen habe ich selber noch Bilder wie diese mit meinen Freunden geteilt. Heute steht mir nicht mehr der Sinn danach. 

Siehe im Video: Darum erkranken immer mehr junge Frauen an Brustkrebs

Denn der gemütliche Ledersessel, in dem ich sitze, ist einer von sechs in der onkologischen Tagesklinik eines Hamburger Krankenhauses. Hier verbringe ich jede Woche viele Stunden, während mir über einen kleinen Zugang unter dem Schlüsselbein beutelweise Gift in den Körper gepumpt wird. Ich befinde mich mitten in der Chemotherapie, denn seit etwa vier Monaten weiß ich: Ich habe Brustkrebs. 

Der Krebs spielt nicht nach den Regeln – auch bei mir nicht

Jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an dieser Krankheit – ich bin eine von ihnen. Und wie wahrscheinlich die meisten "achten Frauen" dachte auch ich, so etwas trifft immer nur die anderen. Heute weiß ich: Brustkrebs ist die mit Abstand häufigste Krebsart bei Frauen. Sie spielt nicht nach den Regeln und auch nicht nach Statistiken, die mir immer vorgegaukelt haben, mit 35 sei ich noch zu jung, um an Brustkrebs zu erkranken. Ein harmloser Routine-Besuch bei meiner Hausärztin hat mich im Juni dieses Jahres schnell eines Besseren belehrt. 

Ich wollte nur einen Tipp für ein Nahrungsergänzungsmittel gegen Haarausfall – am Ende hatte ich eine Eil-Überweisung zur Gynäkologin in der Hand, denn mein etwas schütteres Haar zusammen mit einer Brustwarze, die sich kurz zuvor leicht eingezogen hatte, sprachen eine eindeutige Sprache. Etwa zehn Tage, zwei Mammographien, diverse Ultraschalle, CTs, MRTs und eine Stanzbiopsie später hörte ich den Satz, der mich von nun an wohl nie mehr verlassen wird: "Frau Gebhardt, Sie haben Krebs!" Fünf Worte, die mein Leben sofort grundlegend verändert haben.

Denn ab da hieß es: Keine Zeit verlieren. Kein Raum, das erst mal zu verdauen. Stattdessen ab in die Chemotherapie und kämpfen. Kämpfen, obwohl der Körper eigentlich nicht mehr will, weil ständige Übelkeit und Schwäche alles unerträglich scheinen lassen. Und weiter kämpfen, obwohl der Kopf eigentlich nur noch müde ist, weil die Angst von nun an mein ständiger Begleiter ist und mich nachts nicht mehr schlafen lässt. Unzählige Medikamente mögen die körperlichen Symptome lindern und mit der Zeit wurde auch die Therapie erträglicher, mental ist diese Erkrankung für mich hingegen bis heute eine echte Grenzerfahrung.

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Die Chemotherapie hinterlässt Spuren: "Plötzlich sieht jeder: Ich bin krank!"

Da ist die immer mitschwingende Panik auf der einen Seite, diese Krankheit nicht zu überleben. Und auf der anderen Seite dieses ungewohnte Bild, das mich jedes Mal anstarrt, wenn ich in den Spiegel schaue. Denn optisch hinterlässt die Chemotherapie deutliche Spuren. Ein fast kahler Schopf, ein aufgedunsenes Cortison-Gesicht und ein fahler Teint zeigen nun auch meiner Außenwelt: Ich bin krank! Für jemanden, der sich allein schon von Berufs wegen in einer recht oberflächlichen Welt bewegt, nicht leicht zu akzeptieren. 

Der gefühlte Verlust der eigenen Weiblichkeit – harter Tobak für meinen angeschlagenen Geist. In meinem Kopf nimmt mir der Krebs alles, was mich Frau sein lässt. Die Haare, die Brüste, wahrscheinlich sogar die Eierstöcke. Gedanken, die vollkommen normal sind und die dennoch niemals die Oberhand gewinnen dürfen.

Denn alles verändert sich gerade. Da ist so vieles, das ich plötzlich nicht mehr beeinflussen kann. Auf einmal muss ich vertrauen. Muss den Ärzten vertrauen, dass sie den richtigen Behandlungsplan für mich aufstellen. Muss meinem Körper vertrauen, dass er diesen Feind in mir besiegen kann und muss vor allem mir vertrauen, dass ich stark genug bin, mich immer wieder aus diesem mentalen Loch heraus zu graben. Denn das ist das einzige, das ich zu diesem Zeitpunkt aktiv in der Hand habe. 

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Selbstmitleid, Selbstzweifel, Angst – so viel Macht bekommt der Krebs nicht über mich

Ich glaube daran – je stärker ich im Kopf bin, desto besser kann mein Körper performen. Es ist dieses kleine bisschen Macht, die ich fest bei mir behalte und die ich dem Krebs nicht einräume – meistens zumindest! Gänzlich zugebuddelt bekomme ich dieses mentale Loch nicht immer. Es gibt etliche Momente, in denen ich auf der Couch liege, in Selbstmitleid versinke und mich frage, warum das Leben so furchtbar ungerecht ist. Eine Frage, auf die es leider keine Antwort gibt. Eine Frage, die stattdessen viel wichtiger ist: Was tut mir genau dann gut? Was lenkt mich ab und schafft einen Hauch von Alltag? Meine ganz persönliche Antwort darauf: Gemütliche Abende mit meinen Liebsten, ein Job, den ich liebe und eine tolle Perücke, die zumindest nach außen hin für ein wenig Normalität sorgt.

In ein paar Jahren, lange nach Chemotherapie und Mastektomie-OP, möchte ich sagen können “Ich habe den Krebs besiegt“. Für mich die einzige Option, einen Plan B gibt es nicht. Dennoch wird der Krebs von nun an für immer Teil meines Lebens sein. Meinem Umfeld möchte ich das gerne ersparen. Denn am Ende bin ich das beste Beispiel dafür, dass sich keine Frau zu sicher sein darf, nie die "achte Frau" zu werden. 

Vorsorge ist das A und O – schon oft gehört und trotzdem so wahr

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen leider erst ab der zweiten Lebenshälfte Mammographien zur Brustkrebsfrüherkennung. Regelmäßige Besuche beim Gynäkologen oder der Gynäkologin sind hingegen kostenlos, genauso wie das monatliche Abtasten der Brust.

Wer auf Nummer sicher gehen möchte, investiert zudem in einen regelmässigen Brustultraschall. Vor allem junge Frauen und Frauen mit dichtem Brustgewebe profitieren davon, denn aus eigener Erfahrung weiß ich: Brustkrebs ist nicht immer ein tastbarer Knoten. Mein Tumor lässt sich bis heute nicht ertasten, da er dicht unter der Brustwarze sitzt. Erst ein Ultraschall hat das circa drei Zentimeter großen Karzinom im Juni aufgedeckt. 

Fakt ist: Je früher Brustkrebs erkannt wird, desto größer die Chancen, wieder absolut gesund zu werden. Den Kopf in den Sand stecken (auch wenn es manchmal so viel leichter erscheint), rettet am Ende leider keine Leben.